Initiative Dessauer Ufer

Ein weiteres Interview führten wir mit Luis, einem Mitglied der Initiative Dessauer Ufer. Diese Initiative ist ein Zusammenschluss von Gruppen und Einzelpersonen, die sich mit Geschichts- und Erinnerungspolitik, Dokumentation und Performance auseinander- und dafür einsetzen. Die Entwicklung des Kleinen Grasbrooks ist für die Initiative von Interesse, da sich dort am Dessauer Ufer das Lagerhaus G befindet. Das Lagerhaus G ist ein ehemaliges Außenlager des KZs Neuengamme, in dem in den Jahren 1944/45 Jüdinnen und Juden aus Auschwitz und dem Ghetto Lodz eingesperrt und zur Zwangsarbeit im Hafen gezwungen wurden. Die Initiative Dessauer Ufer setzt sich für den originalen Erhalt des Lagerhauses und für eine angemessene Nutzung als Gedenk- und Erinnerungsort ein. Darüber hinaus, pflegt sie enge Kontakte zu unterschiedlichen Initiativen der Veddel und spricht sich auch vor diesem Hintergrund für eine nicht-kommerzielle und stadtteilbezogene Nutzung des Lagerhauses aus, was sich mit der Nutzung als Erinnerungsort optimal verbinden ließe.
Der Entwurf von Herzog und de Meuron scheint die Anforderungen der Initiative Dessauer Ufer offenbar berücksichtigt zu haben, erklärt uns Luis. Der Entwurf sieht den Ort als Gedenkstätte vor. Klar definiert wurde bisher aber nicht, wie diese aussehen soll. Es ergäben sich dann weitere Fragen, die es in Zukunft zu klären gilt: „Was passiert auf der Wasserseite des Lagerhauses? Das steht ja am Ufer und hat einen offenen Keller mit Säulengängen und der Keller ist aus der Gedenkperspektive relativ wichtig, weil das der Ort ist, wo die Häftlinge bei Bombenalarm immer runtergetrieben worden sind“ (Transkript II: 4). Darüber hinaus hat der Entwurf das Gebiet um das Lagerhaus G vorrangig als Gewerbe- und Industriegebiet ausgewiesen. So sei die Einbindung in den lebendigen Teil des Viertels und die damit verbundene Aufmerksamkeit für den Gedenkort nicht gegeben. Des Weiteren merkt Luis an, dass sich dieses Gebiet aufgrund seiner Lage als Mittelpunkt zwischen den beiden Stadtteilen im Grunde optimal als Fläche zur gemeinsamen Nutzung der Stadtteile angeboten hätte und so auch eine integrierende Funktion für die Veddel hätte darstellen können. Auch das Gebäude mit seinen großen Räumen, böte die idealen Voraussetzungen für die kulturellen und sozialen Stadtteilbedarf beider Quartiere. All dies wurde in dem Entwurf von Herzog & de Meuron nicht mitgedacht. Stattdessen entstehe der Eindruck das dort „schöne Häuser mit Elbblick geschaffen werden, die sicherlich nicht dafür sorgen, dass sich an der Lebensqualität der Bewohner*innen der Veddel irgendetwas ändert“ (ebd.).
Und die Initiative Dessauer Ufer hat sich beteiligt. Nahezu jede der Veranstaltungen während des Beteiligungsverfahrens wurde von Mitgliedern der Initiative besucht und der Prozess wurde auch aktiv verfolgt. „Für uns war es wirklich immer interessant, weil es dadurch eine Transparenz gab, wie die Planung ist, was der Stand ist und was deren [Anm. Verf., der HafenCity GmbH] Perspektiven darauf sind“. Ob die gesetzten Impulse im Rahmen des Beteiligungsverfahrens tatsächlich einbezogen wurden, zweifelt Luis allerdings an. ,,Für uns bezogen auf das Lagerhaus G ist es gar nicht so schlecht gelaufen, weil es in dem Entwurf tatsächlich relativ gut wegkommt, was aus meiner und auch aus unserer Perspektive weniger damit zu tun hat, dass wir das bei den Veranstaltungen gesagt haben, sondern dass wir auch anderen öffentlichen Druck aufgebaut haben” (ebd.: 3).