Das Deutsche Hafenmuseum soll 2025 auf dem Kleinen Grasbrook im Hamburger Hafengebiet entstehen, aktuell befindet es sich in der Konzeptionsphase. Der Kleine Grasbrook, auf dem das Museum verortet sein wird, verweist durch seine Geschichte als ehemaliges Freihafengebiet auf eine lange Historie des Hamburger Hafens und verbindet Themen wie Warenwirtschaft, Globalisierung, Migration, Arbeitsbedingungen, Rassismen und Kolonialismus.
Wir, drei Studentinnen der HafenCity Universität, sind (post-)kolonialen Spuren auf dem Kleinen Grasbrook und im Hamburger Hafen gefolgt. So haben wir uns beispielsweise mit Kaufmannsfamilien und Reedereien auseinandergesetzt, die früher wie heute aktiv waren, mit dem Genozid an den Herero und Nama, zu welchem die Militärschiffe gegenüber des Kleinen Grasbrooks am Baakenhafen aufbrachen und haben den Diskurs um Denkmäler und Straßennamen im Hamburger Stadtbild, die noch heute Verantwortliche ehren, betrachtet. Die heutigen Kontinuitäten des Kolonialismus zeichnen sich auch in den jüngsten gesellschaftlichen Kämpfen gegen strukturellen Rassismus ab, wie beispielsweise in der Black Lives Matter Bewegung oder durch gestürzte Denkmäler sichtbar wird.
Wir haben uns mit der Frage beschäftigt, inwiefern sich Hamburger Kulturinstitutionen wie Museen und Theatern mit (post-)kolonialer Geschichte und Gegenwart auseinandersetzen und uns den an den Grasbrook grenzenden Stadtteil Veddel mit seiner dichten postmigrantischen Bewohnendenschaft sowie diverse Akteur*innen im und um den Hafen angeschaut und uns mit ihnen unterhalten.
Durch den Prozess der Suche nach historischen Spuren und gegenwärtigen Erscheinungen haben wir eine eigene Haltung zu Form und Inhalt des neu entstehenden Deutschen Hafenmuseums entwickelt. Wir haben uns gefragt, was Gegenstände eines dekolonial-informierten Ausstellungskonzeptes sein könnten. Neben der Verantwortung des Museums, Kolonialismus und seine Kontinuitäten bis in die Gegenwart als inhaltlichen Fokus zu behandeln, fordern wir, die Institution von innen heraus zu dekolonialisieren. Wir sind weiße (1) Studentinnen, die hier aus einer weißen Perspektive sprechen und anerkennen, dass diverse Einzelpersonen und Initiativen von Rassismus-Betroffenen an der Dekolonisierung von Museen arbeiten und hierfür Expert*innen sind.
Wir möchten mit diesen Forderungen an das Deutsche Hafenmuseum den Rahmen unseres Seminars nutzen, Öffentlichkeit zu schaffen. Wir sehen uns als privilegierte Personen. Dies zeichnet sich beispielsweise durch einen erleichterten Zugang zur Bildungsinstitution Universität ab und zeigt sich in der größtenteils weißen Studierendenschaft unseres kulturwissenschaftlichen Studiengangs. Wir wollen also unsere Position und den universitären Rahmen nutzen, mit diesen Forderungen einen öffentlichen Diskurs anzuregen und die Konzeptionsphase des Museums momenthaft zu stören, wohlwissend, dass ein solcher Diskurs in Ansätzen bereits begonnen hat. Wir appellieren mit diesen Forderungen an die weiße Institution Museum, Verantwortung für rassistische Strukturen zu übernehmen. Die Forderungen haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und tragen in sich Widersprüche. Diese ergeben sich aus unserer Rolle als weiße Personen, die dekoloniale Forderungen stellen, sowie aus der grundsätzlichen Programmatik, die koloniale Institution Museum zu dekolonialisieren.
1. Recht auf multiperspektivische Geschichtserzählung
-Bestehende Narrative reflektieren, ungehörten Stimmen zuhören und einen Ort schaffen, der von Allen besucht werden will
Häfen sind Knotenpunkte, auch der Hamburger Hafen, das sogenannte ‚Tor zur Welt‘. Sie sind Orte der Verbindung und des Austauschs, zum Beispiel von Menschen und Waren. Das Museum sollte sich zum Ziel setzen, die ungehörten Stimmen von Menschen und die unsichtbaren Wege von Gütern aus der ganzen Welt sicht- und hörbar zu machen, statt einseitige Geschichtserzählung zu reproduzieren. Dabei ist zu beachten, dass Geschichten von Menschen selbst erzählt werden, es also nicht bei Nacherzählungen durch den Blick von weißen, privilegierten Menschen bleibt. Wissenstransfer, Vermittlung und Erinnern sind hierbei der Fokus. Statt des Herrschaftsnarrativs sollte sich die Betrachtungsweise hin zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Machtstrukturen entwickeln. Nur so kann das Museum ein Ort für Menschen sein, die sich nicht mit der herrschenden Geschichtserzählung identifizieren sowie einen Raum bieten, die Zukunft neu zu verhandeln.
Das Deutsche Hafenmuseum wird auf dem Kleinen Grasbrook verortet sein, einem Ort wie ein Palimpsest. Hier sind Schichten von Geschichte zu finden. Erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts begann die Erschließung der südlichen Elbseite zur Hafennutzung. Grund hierfür war der gestiegene Bedarf an Kolonialwaren und Ressourcen, unter anderem als Folge der Industrialisierung. Das Gebiet des Kleinen Grasbrooks wurde durch den stetigen Ausbau zu Gunsten des Seeschiffumschlags geprägt. Bis heute sind Spuren der großen Logistikflächen zu sehen, welche durch das aktuell entstehende Wohnquartier nahezu verschwinden werden. Das in den 1960er Jahren gebaute Überseezentrum ist als größter Sammel- und Verteilerschuppen von Waren aus aller Welt bekannt gewesen und verweist somit deutlich auf die Vormachtstellung, die dieser Ort im weltweiten Handel trug. Wo kamen die Waren her und wer hat diese produziert?
Auch der Nationalsozialismus hat Spuren auf dem Kleinen Grasbrook hinterlassen. Sichtbar sind diese am Dessauer Ufer direkt gegenüber dem Überseezentrum. Hier steht das Lagerhaus G, welches als Unterbringung für Zwangsarbeiter*innen während des Nationalsozialismus diente.
Wir fordern, dass diese Perspektiven nicht konstruiert werden, sondern von Betroffenen selbst erzählt werden. Dafür muss das Deutsche Hafenmuseum an Einzelpersonen und zivilgesellschaftliche Gruppen herantreten und Ort für eine multiperspektivische Geschichte sein. Es muss eine herrschaftskritische Reflexion des gängiger Narrative stattfinden. Wir fordern Gerechtigkeit bei der Wiedergabe von Geschichte(n), statt Bevormundung und eurozentristischer Perspektive.
2. Recht auf Verantwortung für koloniale Vergangenheit und Kontinuitäten
-Inhaltlicher Schwerpunkt des Museums: Kolonialismus und die Folgen bis ins Heute
Der Hamburger Hafen ist Bindeglied der Geschichte des deutschen Kolonialismus bis hin zu den Folgeerscheinungen im Heute. Vom Hamburger Hafen fuhren zum Beispiel die Kriegsschiffe des Deutschen Reiches aus, die für den Genozid der Herero und Nama von 1904 bis 1908 im heutigen Namibia verantwortlich waren. Schiffe mit Gütern aus den Kolonien, wie Kaffee, Tee, Tabak oder Gewürze, landeten hier. Globale Ungerechtigkeiten, die besonders zu der Zeit der Kolonien verstetigt wurden, bestehen heute noch immer, beispielsweise durch Ausbeutung von Ressourcen oder billigen Arbeitskräften. Um einen Erinnerungsort zu schaffen und Menschen für diese Ungerechtigkeiten zu sensibilisieren, muss das Thema globale Ungerechtigkeiten, insbesondere Rassismen als Folge des Kolonialismus, den Schwerpunkt des Museums bilden. Auch Deutschlands Rolle im sogenannten atlantischen ‚Dreieckshandel‘ muss im Deutschen Hafenmuseum thematisiert werden und somit Verantwortung für den Sklavenhandel übernommen werden. Für die Geschichte des deutschen ‚Dreieckshandels‘ ist der Reeder und Kaufmann Heinrich Karl von Schimmelmann als wichtigster Akteur zu nennen. Aus Fabriken rund um Hamburg verschiffte er Baumwollgewebe, Waffen und Alkohol an die Westküste Afrikas. Mit dem Erlös dieser Waren wurden afrikanische Sklaven gekauft und durch Schimmelmann nach Nordamerika und in die Karibik zu den europäischen Kolonien verschifft. Mit dem Gewinn aus dem Sklavenhandel kaufte er wiederum karibische Produkte, wie Zuckerrohr oder Tabak, und importierte diese nach Hamburg. Das Deutsche Hafenmuseum muss die kolonialen Verbrechen Deutschlands benennen und Raum schaffen zur Auseinandersetzung mit den Kontinuitäten, wie strukturellem Rassismus. Als Ort, an dem postkoloniales Erinnern stattfindet, kann das Museum somit eine antirassistische Wirkung erzielen.
Wir fordern, dass das Deutsche Hafenmuseum diese Verantwortung anerkennt und ein Raum des Erinnerns wird. Nur so kann es zu einem dekolonialen Museum werden und einen Beitrag zur Aufarbeitung des Kolonialismus und den bis ins Heute reichenden Folgen leisten.
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(1) In diesem Text wird „weiß“ klein geschrieben. Wir verstehen „weiß“ als konstruierte Norm und Machtposition in einem rassistischem System. Wir schreiben „weiß“ nicht kursiv, weil wir es visuell nicht hervorheben wollen.